Diesen Sommer (2024) nahm ich an einer Fortbildung zu systemischer Organisationsentwicklung in Abano beim Metaforum teil. Ich hab viele spannende Modelle und Ansätze kennengelernt.
Aber erzählen möchte ich Dir von einem auf den ersten Blick vielleicht kleinen, aber für mich sehr beeindruckenden Aspekt. Ich wurde in dem Workshop nämlich daran erinnert, wie viel Gutes entstehen kann, wenn wir würdigen.
Würdigen – was bedeutet das eigentlich? Das Wort stammt von der „Würde“ – und die wiederum kommt vom althochdeutschen „wirdīg“, was ‘wert, verdient, ehrwürdig’ bedeutet. Würdigen hat also damit zu tun, etwas Achtung entgegen zu bringen, es zu wertschätzen und anzuerkennen.
Im Unternehmenskontext würdigen
Stell Dir mal vor, Du wärst langjähriges Mitglied eines Teams. Eine neu eingesetzte Führungskraft beginnt das erste Team-Meeting mit den Worten: „Ab heute wird sich viel verändern! Wir bringen den Laden auf Vordermann! Ich freue mich darauf, mit Euch die Ärmel hochzukrempeln und loszulegen!“
Was würdest Du als Teammitglied denken und fühlen?Eine zweite Variante. Die Führungskraft beginnt mit: „Ich freue mich, hier zu sein. Auch wenn ich mir vorstellen und es auch nachvollziehen kann, wenn manche von Euch mich kritisch beäugen und vielleicht denken: Will der nun den ganzen Laden umkrempeln? Es stehen tatsächlich Veränderungen an. Und dafür brauche ich Eure Hilfe! Deshalb bitte ich Euch, dass Ihr mich von Euch lernen lasst. Dass Ihr mir zeigt, wie Ihr bisher gearbeitet habt. Damit wir zusammen dann die anstehende Transformation angehen können.“
Wie geht’s Dir mit dieser Variante?
Das ist eine Form, wie Würdigen im Unternehmenskontext aussehen kann. In der 2. Variante würdigt die neue Führungskraft das mögliche Mißtrauen des Teams und die langjährigen Fähigkeiten.
Im Alltag würdigen
Mir kommt ein Gespräch mit einer Freundin in den Sinn. Sie und ihr Mann haben zwei kleine Kinder. Beide geben ihr Bestes, damit diese kleine Familie gut funktioniert. Und es ist wirklich herausfordernd, mit kleinen Kindern, Berufstätigkeit bzw. Selbstständigkeit beider Eltern, usw.!
„Manchmal nervt es mich einfach,“ meinte meine Freundin zu mir, „dass ich immer dafür verantwortlich bin, dass unsere Wohnung sauber ist. Mein Mann rührt keinen Finger!“ Ich weiß allerdings, dass er eben andere Aufgaben übernimmt (er ist beispielsweise fürs Kochen zuständig) – und meine Freundin weiß es natürlich auch. Und so stellt sie etwas später fest:„Eigentlich will ich da einfach gesehen werden. Ich wünsch mir, dass er sagt: ‚Danke, dass Du das für uns machst.‘ Mehr brauch ich eigentlich gar nicht!“Im Miteinander kann sich Würdigen durch Dankbarkeit zeigen, durch ein „Ich sehe, was Du für uns tust und ich danke Dir dafür.“ So ein „danke“ können wir nicht vom anderen einfordern. Aber drum bitten – das geht allemal.
Im Konflikt würdigen
Am schwierigsten ist das Würdigen sicherlich im Konflikt. Wenn wir uns angegriffen fühlen, kritisiert oder abgelehnt, dann bedarf es manchmal einer riesigen Überwindung, Mut und Liebe. Aber wenn ich an die Konflikte, die ich in meinem Leben schon so hatte, zurückdenke, wird mir klar: Immer dann, wenn es meinem Gegenüber oder mir gelungen ist, die Sichtweise des anderen zu würdigen, gab es eine Transformation und der erste, große Schritt zur Versöhnung war getan!
Wann immer ich den Eindruck hatte, der andere erkennt an, wie es mir geht und was mir wichtig ist, wie ich die Situation, um die wir streiten, erlebt habe – hat sich etwas gelöst in mir. Auch wenn der andere die Situation ganz anders erlebt hat, aber sein Erleben genau so wie meines sein darf – wurden Schutzmauern weich und auf einmal war da wieder der Raum und Wille, aufeinander zuzugehen.
Wenn es mir gelang, mich in „die Mokassins meines Gegenübers zu stellen“, seine Sicht und Realität zu würdigen – auch dann hab ich immer wieder erlebt, dass sich die Fronten aufgelöst haben und ein nächster, konstruktiver Schritt möglich wurde.
Im Konflikt zeigt sich Würdigen durch Zuhören und Anerkennen der Wirklichkeit des anderen.
Würdigen, so denke ich also, ist ein wertvolles Geschenk, das wir einander geben können. Aber nicht nur einander, sondern auch uns selbst.
Und Du?
Was in dir möchte gewürdigt werden?
Welche Deiner Handlungen und Leistungen sind ungesehen geblieben?Wann hast Du Dir gewünscht, dass Deine gute Intention anerkannt und wertgeschätzt wird?
Du kannst Dir diese Würdigung auch selbst geben. Am besten, in den Worten, die Du Dir von einem anderen Menschen wünschen würdest. Und natürlich kannst Du auch den anderen darum bitten.
Und um Dich rum?
Wem in Deinem Umfeld würde ein „danke“ gut tun?
Wo braucht es vielleicht das Anerkennen der Realität eines anderen, damit Fronten weicher werden?Wer in Deinem Umfeld wünscht sich wohl, dass ihm/ihr richtig gut zugehört wird?Alles Liebe Dir!
Mareike