2010 übernahm ich ein paar Jahre lang die Moderation des ARD Nachtkonzerts beim Bayerischen Rundfunk. Nach den ersten Diensten bat ich einen Sprecherkollegen um Feedback. Ich wollte wissen, ob ich’s gut mache und welche Hinweise er für mich hat. „Mareike, Du klingst etwas überkandidelt. Als hättest Du ein steifes Abendkleid an. Das ist nicht authentisch!“
Der Kollege hatte recht – tatsächlich war ich oft noch sehr aufgeregt und angespannt. Lampenfieber eben. Dadurch sprach ich überdeutlich. Sein Tipp für mich empfand ich allerdings weniger hilfreich: „Sei einfach mehr Du selbst.“ Sprach denn jemals jemand anderes als ich ins Mikrofon, wenn Mareike Tiede die Sendung moderierte? Ich kann nicht nicht ich sein – oder doch?
Und schon sind wir bei der Authentizität gelandet. Ein Blick zum Ursprung des Wortes: Authentizität stammt vom griechischen authentikós ab, was „echt“ und „verbürgt“ bedeutet. Es geht also darum, nicht verstellt, sondern wahrhaftig zu sein. Und diese Authentizität, liebe Leserin, lieber Leser, möchte ich nun aus zwei Blickwinkeln unterscheiden: Innensicht und Außensicht.
Glaubwürdigkeit
Von außen betrachtet, ist jemand, den wir als wahrhaftig erleben, glaubhaft. Wenn Menschen von Authentizität sprechen, geht es in der Außensicht also eigentlich um #Glaubwürdigkeit. Kann ich meinem Gegenüber glauben und vertrauen, dass er das Gesagte auch genau so meint?
Aus der Innensicht betrachtet, bedeutet Authentizität: Ist das, was ich sage, auch stimmig für mich selbst? Passt es zu mir?
„Gar mancher mit sich selbst im Reinen, mag manchmal doch verfehlt erscheinen.“ schreibt der wunderbare Kommunikationspsychologe Schulz von Thun vom Schulz von Thun Institut für Kommunikation. Und verweist darauf, dass innen gefühlte Authentizität außen nicht immer glaubwürdig erscheint.
Kongruenz
Und das bringt uns – nach der Glaubwürdigkeit – zum nächsten entscheidenden Wort, das der Authentizität hinterher stolpert, obwohl es das Trio anführen sollte: Kongruenz. Kongruenz meint, dass das, was ich sage, mit dem übereinstimmt, wie ich es sage. Das WIE und das WAS passen zusammen, sind stimmig.
Wenn ich freudestrahlend mit ausgebreiteten Armen und kräftiger Stimme in die Welt rufe: „Heute ist so ein richtig mieser Tag!“, dann ist jedem sofort klar, dass das gerade nicht glaubwürdig ist. Es ist nämlich inkongruent, denn der Inhalt meiner Worte passt überhaupt nicht mit meiner Körperhaltung, Mimik und Stimme zusammen.
Zugegeben – das war ein übertriebenes Beispiel. Im Alltag achten wir auf viel feinere Ungereimtheiten. Jemand preist sein Produkt übertrieben oft an, ein anderer lächelt ohne Unterlass, sodass das Gesicht wie eine Maske wirkt, wieder jemand anderes spricht von Augenhöhe, behandelt andere aber abwertend – da werden wir mißtrauisch. Zu Recht! Wir spüren, dass Aussage und Handeln nicht ganz zusammenpassen, nicht kongruent sind.
Damals beim Bayerischen Rundfunk wirkte ich nicht glaubwürdig, weil ich die Zuhörenden eigentlich sicher und kompetent durch die Sendung führen wollte, gleichzeitig aber Lampenfieber hatte – und das war hörbar! Die Zuhörenden bekamen also zwei Botschaften: Hier moderiert jemand und hat gleichzeitig auch Angst. Meine Rolle als Moderatorin und wie ich sprach – das passte nicht zusammen, war nicht kongruent.
Genau das ist es, worum es im Sprechtraining geht: Menschen lernen, wie sie kongruent und glaubwürdig beim Gegenüber ankommen und somit auch authentisch wirken. Allerdings gibt es auf dem Weg dorthin eine Hürde!
„Das fühlt sich aber nicht authentisch an!“
Wechseln wir von der Wahrnehmung von außen – wie jemand auf uns wirkt – zur Wahrnehmung nach innen. Wie fühlen wir uns? Fühlt sich etwas authentisch an oder nicht? Wenn es um die Innensicht geht, meint „authentisch“ meist: stimmig, passend zu mir, so wie ich eben bin.
Hier wird es kniffelig – zumindest dann, wenn wir uns weiterentwickeln wollen.
Wenn Menschen etwas Neues ausprobieren – zum Beispiel in einem Sprechtraining – dann taucht schnell die Sorge auf: „Das fühlt sich nicht authentisch an.“ Damit haben sie völlig recht! Denn was wir neu lernen, das kann noch gar nicht authentisch (im Sinne von „passend zu mir“) sein, weil es ja noch so neu und ungewohnt ist!
„Gewohnheit“, meinte Horst Coblenzer, ehemals Sprecherzieher, der am renommierten Max Reinhardt-Seminar in Wien Schauspieler ausbildete,„ist kein Güteprädikat!“ Die eigene gewohnte Art zu sprechen, ist nicht unbedingte die beste, um mit unseren Inhalten zu überzeugen.
Wenn wir deshalb unsere Fähigkeiten erweitern wollen und Neues ausprobieren, fühlt sich das selten sofort stimmig an. Meist mischen sich Gefühle von Unsicherheit und vielleicht sogar etwas Angst mit hinein. Neues ist zu Beginn auch mit Anstrengung verbunden. Erst durch Übung und Wiederholung wird es immer bekannter, leichter, einfacher. Dann kann es – wie für die Teilnehmenden in meinen Sprech- oder Storytelling-Trainings – eine neue Fähigkeit werden, die sie sich zu eigenen machen und die ein Teil von ihnen wird!
Fassen wir nochmal zusammen
Als authentisch bezeichnen wir in der Außensicht meist Menschen, die wir als glaubwürdig wahrnehmen. Glaubwürdigkeit entsteht, wenn das, WAS wir sagen mit dem WIE wir es sagen übereinstimmt, d.h. kongruent ist.
In der Innensicht bedeutet Authentizität, dass unser Handeln mit unseren Werten und unserer Person übereinstimmt. Und dass wir das Gewohnte tun. Das ist wunderbar, bis zu dem Moment, wo wir uns weiterentwickeln wollen.
Denn in jedem Lern-Prozess gibt es Zeiten, wo wir uns nicht authentisch fühlen, weil wir uns außerhalb unserer Komfortzone auf ungewohntem Terrain bewegen. Das gehört einfach zur Weiterentwicklung dazu.
Damals beim Rundfunk…
Durch Übungen und die wachsende Erfahrung verschwanden damals beim Bayerischen Rundfunk mein Lampenfieber und meine Angst. Ich musste üben, meine angespannte Muskulatur zu lösen, sanfter zu artikulieren und mir sehr nette Zuhörende vorzustellen. Zwischendurch fühlte sich das ungewohnt an, aber nach und nach merkte ich, wie mir die neuen Möglichkeiten halfen, meine Angst zu verlieren und glaubwürdiger zu moderieren. Und schließlich fühlte ich mich ganz „ich selbst“ vor dem Mikrofon. Ich fühlte mich authentisch.
Sei bitte mal nicht authentisch!
Und deshalb lade ich Dich, liebe Leserin, lieber Leser, dazu ein, Dir bewusst zu machen: Wenn Du etwas neu lernst, dann gehst Du durch eine Phase der Unsicherheit. Erlaube sie Dir! Erlaube Dir, Dich eine Zeit lang nicht authentisch zu fühlen!
Nach einer genüsslichen Ausprobier- und Übungsphase prüfe dann genau, was Du vom Neuen in Dein Kommunikations- und Verhaltensrepertoire aufnehmen möchtest und was Du weglässt, weil es nicht stimmig für Dich ist. Gern unterstütze ich Dich dabei!